Bösenburg ist heute ein Ortsteil des nahen Rottelsdorf und liegt im Landkreis Mansfeld-Südharz. Bereits in frühester Zeit war die Gegend um Bösenburg besiedelt. Auf dem heutigen Burgberg soll die Burg des sagenhaften Königs der Thüringer Bisino gestanden haben. Im Mittelalter war Bösenburg einer der wichtigsten Orte der Grafschaft Mansfeld, denn hier wurde Gericht über alle Streitfälle des nördlichen Hosgaues gehalten. Nicht zuletzt wurde Bösenburg im 17. Jahrhundert durch seinen ausgezeichneten Sandstein und seine Steinmetzarbeiten berühmt.
Man sprach damals sogar von der Bösenburger Steinmetzschule. Der Reiz des kleinen Ortes, der sich abseits der stark befahrenen Hauptstraßen in das tief eingeschnittene Tal des Fleischbaches duckt, liegt in der einmalig schönen Landschaft. Durch den gesamten Ort zieht sich eine alte Kastanienallee und hoch über dem Fleischbachtal erhebt sich auf dem Bergberg die Kirche St. Michael mit ihrem historischen Friedhof.
Der Burgberg von Bösenburg
Hoch über dem Ort Bösenburg liegt der Burgberg. Heute befindet sich auf dem Berg nur noch die Kirche St. Michael mit dem historischen Gottesacker, die über einen einigermaßen bequemen Fußweg, der an der Bushaltestelle in Bösenburg beginnt, zu erreichen sind. An der Stelle der Kirche standen vor vielen Jahrhunderten in verschiedenen Zeitabschnitten verschiedene Wehranlagen. Überhaupt ist der Burgberg von Bösenburg neben der Batalike bei der Eichstädter Warte und dem Lerchenfeld bei Welfesholz einer der geschichtsträchtigsten Orte Mitteldeutschlands. Auf dem Burgberg hat sich im fünften nachchristlichen Jahrhundert möglicherweise der Herrschaftssitz des ersten schriftlich erwähnten Königs des Stammes der Thüringer, des sagenhaften Bisino, befunden. Von diesem Bisino – wir wissen heute nicht einmal, ob es sich um einen Namen oder Titel handelt – stammt letztlich auch der Ortsname Bösenburg ab. Das Volk der Thuringi besiedelte damals ein Areal, das sich von der Altmark bis zum Thüringer Wald erstreckte. Schon kurz nach 500 unserer Zeitrechnung verstarb Bisino. Er teilte sein Reich unter seinen Söhnen Baderich, Berthachar und Hermenefred. Hermenefred, der mit Amalberga, der Tochter des Ostgotenkönigs Theoderich verheiratet war, bekam den nördlichen Teil des Reiches. Auch Hermenefred soll auf dem Burgberg von Bösenburg residiert haben.
Es war die rastlose und kriegerische Zeit der Völkerwanderung und so ließen sich auch feindliche Kontakte mit anderen Stämmen nicht vermeiden. Die Thüringer wurden in der Schlacht von Scidingi (wahrscheinlich Burgscheidungen) vernichtend durch die Franken unter Chlotachar geschlagen und – wiederum blutig – in das eigene Reich integriert. Hermenefred jedenfalls scheint die Schlacht von Scidingi nicht überlebt zu haben. Seine Frau Amalberga wurde von Chlotachar gefangen genommen.
Waffenhilfe erhielten die Franken von den Sachsen, die sich dann im Gebiet Hermenefreds niederlassen durften. Bereits 568 zogen die Sachsen aber mit den Langobarden Richtung Italien. Im von uns betrachteten Gebiet wurden nun von den fränkischen Königen Nordschwaben aus dem heutigen Brandenburg angesiedelt. Als die Sachsen nach nur wenigen Jahren aus Italien zurückkehrten, kam es zur großen Schlacht zwischen Nordschwaben und Sachsen. Auf einem Feld zwischen den Orten Nemsdorf und Langeneichstädt, heute Landkreis Saalekreis, haben die Nordschwaben 575 ihr neues Territorium in einem blutigem Kampf gegen die Sachsen verteidigt. Das Feld heißt noch heute Batalike, also Schlachtfeld. Das Areal dieses historischen Schlachtfeld kann heute am Besten von der Eichstädter Warte eingesehen werden.
Nach dem Herrschersitz der Thüringer befand sich vom 8. bis zum 11. Jahrhundert eine Volksburg auf dem Burgberg von Bösenburg. Diese Burg hatte keine strategische Bedeutung. Sie diente vielmehr dem Schutzbedürfnis der umliegenden Dörfer während des immer stärker werden Terrors der ungarischen Reitervölker. Etwa 200 bis 400 Personen sollen damals ständig auf der Burg gelebt haben. Im Kriegsfall fanden wesentlich mehr Menschen, mit ihrem Vieh und ihren Vorräten, Platz auf dem fast 15.000 Quadratmeter großen Befestigungsareal. Bereits damals haben sich hier eine Kirche und ein Friedhof befunden.
Für kurze Zeit, von 1173 bis 1184, befand sich auf dem Burgberg von Bösenburg der Sitz des Landgerichtes des nördlichen Hosgaues. Im 13. Jahrhundert wurde die Kirche durch die Grafen von Mansfeld mit einer ungewöhnlich starken Steinmauer gesichert, die allerdings in den Zeitläufen verschwand.
Doch wie sahen nun all diese Königssitze und Burgen aus? Dafür gibt es eine einfache Antwort: Wir wissen es nicht! Ein Nachweis eines Königssitzes konnte trotz umfangreicher Grabungen nicht erbracht werden. Die Fluchtburg hingegen konnte bei Ausgrabungen in den 1960er Jahren genau lokalisiert werden. Vieles wurde in vergangenen Jahrhunderten zerstört: Im 17. und 18. Jahrhundert wurde in Bösenburg im Burgberg unterirdisch der bei Steinmetzen sehr begehrte feinkörnige Buntsandstein gefördert. Dabei wurde praktisch der gesamte Berg unterhöhlt. Der Abbau des Sandsteines veränderte auch den Burgberg nachhaltig. Es wurden Halden aufgeschüttet, Wälle abgetragen und Steinbrüche aufgefahren. Die Landwirtschaft tat ihr Übriges. Weil die auf dem Burgberg liegende Erde besonders fruchtbar war, wurde sie von den Bauern der Umgebung abgetragen.
Die Kirche St. Michael auf dem Burgberg von Bösenburg
Bemerkenswert an der Kirche St. Michael ist vor allem der sehr alte, im romanischen Baustil errichtete Turm. Ähnliche Kirchtürme findet man gerade hier im Saalischen Mansfeld recht häufig. Das Kirchenschiff hat im Laufe der Jahrhunderte einige bauliche Veränderungen erfahren, scheint aber insgesamt aus deutlich jüngerer Zeit zu stammen. Darauf weisen die kleinen gotischen Fenster auf der Ostseite des Kirchenschiffes hin. Dem Betrachter fallen außerdem die außergewöhnlich lang gestreckten Fenster auf, die mit eben so ungewöhnlich starken Läden verschlossen sind. Fast könnte der Eindruck einer trutzigen Wehrkirche entstehen. Über der Eingangspforte an der Südseite der Kirche ist eine Platte mit dem Text Martin Luthers „Ein(e) feste Burg ist unser Gott“ aus Bösenburger Buntsandstein eingelassen. Interessant ist auch die außergewöhnliche Anzahl historischer Grabsteine aus dem 17. und 18. Jahrhundert auf dem Gottesacker gleich neben der Kirche. Bösenburg war in jener Zeit für seine Steinmetzarbeiten berühmt, ja man sprach sogar von einer Bösenburger Steinmetzschule. Der Buntsandstein wurde in unterirdischen Steinbrüchen im Burgberg gebrochen.
Kirche und Gottesacker sind heute – und das ist im Mansfeldischen ungewöhnlich – gänzlich ohne Einfriedung. Der Pastor Schulze aus Freist schrieb schon 1780: „Der Gottes Akker ist ietzo gar nicht verwahrt, ob er gleich ehedem mit außerordentlich starken Mauern umgeben gewesen; sonderlich ist die gegen Morgen (gemeint ist Richtung Osten, der Autor) nunmehr meistens niederliegende aus großen Steinen bestehende Mauer nebst dem vor derselben gewesenen Graben zu bewundern, welches sichere Merkmale von einer hier gewesenen Burg sind.“
Die Heilige Breite
Nur wenige Gehminuten von Bösenburg entfernt liegt oberhalb des Fleischbaches – genau gegenüber dem Burgberg – ein Flurstück, das den Namen Heilige Breite trägt. Wegen seiner Bedeutung wird Bösenburg auch eines der bedeutenden Ziele der christlichen Missionarstätigkeit gewesen sein. Der überlieferten Legende nach soll Wynfrith Bonifatius, der als Wegbereiter der christlichen Missionierung im vormittelalterlichen Deutschland gilt, persönlich auf der Heiligen Breite gepredigt haben.
Jener Bonifatius hat tatsächlich ab 718 im mitteldeutschen Raum als Missionar gewirkt. 722 wurde er vom Papst beauftragt, die Kirche im Frankenreich zu ordnen und in die römische Kirche einzugliedern. Bonifatius ging bei seiner Missionarstätigkeit nicht zimperlich vor: im hessischen Geismar fällte er eine dem Kriegsgott Thor geweihte Eiche. Auch andernorts ließ er germanische Heiligtümer zerstören. Etliche Klostergründungen, so zum Beispiel Fritzlar und Fulda gehen auf ihn zurück. Bonifatius pflegte enge Beziehungen zu Karl Martell und dessen Sohn Karlmann, dem Bruder Karls des Großen.
Die ehemalige Steinmetzschule von Bösenburg
Im 17. und 18. Jahrhundert dürfte auf der von Kastanien gesäumten Allee Bösenburgs reger Verkehr geherrscht haben, denn der Ort war damals im weiten Umkreis für seine hervorragenden Steinmetzarbeiten bekannt. Der Burgberg von Bösenburg besteht aus besonders feinkörnigem weißgelben Buntsandstein, der sich dank seiner Festigkeit hervorragend für kunstvolle Bauten, Grabsteine und Epitaphe nutzen ließ. Einwanderer aus Böhmen brachten das Steinmetzhandwerk zwischen 1620 und 1630 in die Grafschaft Mansfeld und so mancher Bösenburger wird von ihnen gelernt haben. Man sprach damals sogar von einer Bösenburger Steinmetzschule. Diese Bezeichnung ist vielleicht etwas übertrieben, denn fast jeder Bösenburger hatte damals mit dem Bearbeiten des Buntsandsteines zu tun, ganz gleich ob Bauer, Gastwirt, Müller oder Handwerker. So mancher Grabstein wurde von den nächsten Angehörigen des oder der Verstorbenen behauen.
Jedenfalls wurde im Burgberg unterirdisch der begehrte Buntsandstein abgebaut. Damit der Berg, auf dem sich noch heute die Kirche St. Michael befindet, nicht einstürzen konnte, wurden überall Pfeiler als Tragstruktur stehen gelassen. Tatsächlich haben sich die Pfeiler über all die Jahrhunderte bewährt, denn nur an einer Stelle – westlich der Kirche – ist die Decke eingebrochen. Der Heimatforscher Erich Neuß, der Mitte der 1930er Jahre das Saalische Mansfeld komplett durchwanderte, konnte die unterirdischen Steinbrüche Bösenburgs noch persönlich besichtigen. Er fand eine vollkommen trockene Halle mit den bereits erwähnten Tragpfeilern vor. Von dieser Haupthalle sollen verschiedene Seitenzweige abgegangen sein. Bereits zu dieser Zeit war der Steinbruch aber schon lange erschöpft.
Aus dem Sandstein des Bösenburger Steinbruches wurden viele Kirchen in der Grafschaft Mansfeld erbaut. Aber genau so wurde der Stein zur Anfertigung von Epitaphen und Grabsteinen verwendet. Einige dieser hervorragend gearbeiteten Grabsteine können noch heute auf dem Friedhof von Bösenburg, gleich neben der Kirche St. Michael gelegen, besichtigt werden. Interessant ist, dass der mansfeldische Heimatforscher Erich Neuß auch den im Schloss Sanssouci verbauten Sandstein dem Steinbruch Bösenburgs zuschreibt.