Am 22. März 1984 kam es in den Morgenstunden in Halle an der Saale zu einem schweren Unfall zwischen einem Fahrzeug der Französischen Militärverbindungsmission – La Mission Militaire Francaise de Liaison (MMFL) – und einem URAL der Nationalen Volksarmee (NVA). An der Kreuzung von Dölauer Straße und Nordstraße bzw. Brandbergweg wurde die Mercedes Limousine (vermutlich des Typs W123) der MVM (Alliierte Militärverbindungsmission) durch einen URAL 375D der NVA, der als Straßensperre eingesetzt wurde, gerammt. Dabei wurde der französische Fahrer Sergeant (Feldwebel) Phillipe Mariotti getötet sowie die 2 weiteren Insassen des Fahrzeuges, darunter ein Offizier, teilweise schwer verletzt.
Als die Unfallbereitschaft der Deutschen Volkspolizei am Unfallort eintraf, bot sich den Ermittlern ein schreckliches Bild. Der äußerst stabil gebaute Mercedes war unter den Rahmen des URAL gerutscht und wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der Tod des Fahrers wurde durch den in der Zwischenzeit herbeigerufenen Notarzt bestätigt. Auf Anweisung der zuständigen Sanitäter wurde der Verletzte Capitain (Hauptmann) Staub in das nahe gelegene Krankenhaus nach Halle-Dölau gebracht und auch der verletzte Sergeant Blancheton sollte aufgrund seiner Verletzungen dorthin gebracht werden. Dieser lehnte allerdings strikt ab, um das verunglückte Fahrzeug zu bewachen. Die Ausrüstung des Fahrzeugs sollte nicht den inzwischen eingetroffenen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit in die Hände fallen.
Allerdings bezog sich diese Sorge wohl nicht auf Fotoapparate oder Abhörtechnik, die von der ehemaligen DDR selber hergestellt wurde, oder auch legal auf dem Weltmarkt erworben werden konnte, sondern vermutlich eher auf Aufklärungsergebnisse oder Aufmarschpläne, die bei den umfangreichen Aufklärungsfahrten erbeutet wurden. Unterdessen ahnten die Organe der DDR, dass sie mit dem Unfall ein Ernst zu nehmendes Problem hatten: Auch wenn sich die französischen Soldaten in einem Sperrgebiet befanden, waren sie nicht berechtigt, die alliierten Offiziere und Unteroffiziere zu kontrollieren oder gar Festzunehmen. Natürlich bedeutete auch der Tod des Sergeanten Mariotti Ärger. Zu leicht konnte es zu Verstimmungen in den traditionell guten Beziehungen zwischen der Französischen Republik und der DDR kommen, was natürlich auch die Karriere aller Beteiligten negativ beeinflussen würde.
So wurde, um den Komplikationen aus dem Weg zu gehen, die Spionageabwehr der GSSD (Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in der DDR) benachrichtigt. Kurz nach 12 Uhr traf auch ein höherer sowjetischer Offizier am Unfallort ein, um die Zügel in die Hand zu nehmen. Natürlich wurde auch das Hauptquartier der Franzosen in Potsdam informiert, von dem aus sich auch die 3 betroffenen Soldaten am Morgen gegen 8 Uhr auf den Weg in das etwa 160 Kilometer entfernte Halle gemacht haben. Durch die Anwesenden sowjetischen Soldaten wurde auf eine Festnahme des am Unfallort verbliebenen französischen Unteroffiziers verzichtet. Allerdings konnten noch einige Filme, ein Diktiergerät sowie Karten gesichert werden, die vorher nicht vernichtet werden konnten. Am frühen Abend trafen dann auch die Ermittler der französischen MVM am Tatort ein und begannen mit ihren Untersuchungen sowie der Bergung des Materials und dem Abtransport des getöteten Franzosen.
Natürlich wurde später von Seiten der französischen Regierung ein offizieller diplomatischer Protest nachgereicht, um dem Protokoll genüge zu tun. Dazu wurde vonseiten der DDR und der UdSSR allerdings immer auf den offiziellen Unfallbericht hingewiesen, in dem ein provozierendes Fahrmanöver des Franzosen konstatiert wurde und ihm die Alleinschuld am Unfall zugesprochen wurde. Außerdem blieb nicht unerwähnt, dass sich die drei Franzosen in einem gekennzeichneten und auch kommunizierten Sperrgebiet befunden haben. Auch über einen angeblichen Alkoholmissbrauch des Fahrzeuglenkers wurde spekuliert. Ob dies der Wahrheit entsprach oder nur eine gezielte Falschinformation der ermittelnden Behörden ist, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Wie mit den beteiligten Franzosen in ihrem eigenen Land weiter verfahren wurde, konnte im Rahmen der Recherche nicht mehr festgestellt werden, vermutlich wurden sie zumindest für die Zeit des KALTEN KRIEGES zum Schweigen verpflichtet.
Für die Interessierten Leser folgt ein kurzer Abriss zur Geschichte der MVM und zum Einsatz in Halle an der Saale im Einzelnen: Die Grundlagen der MVM wurden im Londoner Abkommen vom 14. November 1944 gelegt, dem Frankreich kurze Zeit später betrat. In diesem Vertrag wurde ein gegenseitiges Kontrollrecht der Kriegsalliierten vereinbart. Dauerhafte oder zeitweise Sperrzonen konnte der jeweiligen anderen Seite mitgeteilt werden. Diese Zonen durften nicht betreten werden, ansonsten konnten sich die Männer der MVM aber frei bewegen.
Von allen vier Seiten wurde eine geringe Anzahl an Militärangehörigen – etwa 20 bis 30 Mann – akkreditiert, die in den jeweils anderen Sektoren Informationen sammeln durften. Zu diesem Zweck wurden auch eigene Hauptquartiere unterhalten – Engländer, Franzosen und Amerikaner hatten ihre Quartiere in Potsdam. Die Angehörigen der russischen Mission residierten in Frankfurt, Baden-Baden sowie in der britischen Zone in der Anfangszeit in Bad Salzuflen, später in Lübbecke und Bünde. Die Aufklärung der Gegner fand sehr unkonventionell statt, so wurden zum Beispiel Mülldeponien und Krankenhausabfälle untersucht, in Manövergebieten nach Munitionsresten gefahndet oder auch Militärangehörige direkt angesprochen und so versucht an Informationen zu gelangen.
Technisch wurden die Missionen mit der zurzeit bestmöglichen Technik ausgestattet: Nachttaugliche Ferngläser, Infrarotscheinwerfer und Spiegelreflexkameras mit Teleobjektiven. Als Fahrzeuge kamen hier modifizierte Oberklasselimousinen und Geländewagen vom Mercedes-Benz, Opel und Rover zum Einsatz. Die Mitarbeiter erhielten diplomatische Immunität und durften nur von den Angehörigen der vier Siegermächte kontrolliert werden, für die deutschen Behörden auf beiden Seiten waren Kontrollen offiziell nicht gestattet. Insgeheim wurde aber natürlich die Kommunikation abgehört sowie die Sichtung der Fahrzeuge den jeweiligen Verbündeten gemeldet.
Durch die Vorbereitungen zum Manöver JUG 84 des Warschauer Paktes angelockt, fuhren die 3 Franzosen in das für sie gesperrte Gebiet in Halle ein in dem die 11. Motorisierte Schützendivision in der Otto Brosowski Kaserne stationiert war. Kommandant der Einheit war Generalmajor Manfred Zeh. Der NVA sowie dem MfS war bekannt, dass die Heeresaufklärer der Franzosen sei Anfang März das unmittelbare Gebiet um die Kaserne intensiv beobachten und Informationen sammelten. Da die Franzosen schnelle Stellungswechsel bevorzugten und auch sonst sehr unauffällig vorgingen, konnten sie nicht effektiv an ihren Tätigkeiten gehindert werden.
So ersann die MfS Abteilung HAVIII/5 einen Plan, um die Franzosen zu stoppen: An verschiedenen Ausfallstraßen an der Kaserne wurden Straßensperren mit insgesamt 9 schweren Fahrzeugen der NVA eingerichtet. Deren Besatzungen bestanden aus einem Angehörigen der Nationalen Volksarmee als Fahrer, der Beifahrer war immer ein Angehöriger der Staatsscherheit. Was allerdings nach Stoppen des Fahrzeuges geschehen sollte, wurde vermutlich nicht bedacht. Wie bereits erwähnt, durften die Aufklärer von deutschen Behörden nicht kontrolliert oder verhört werden. Auch der Missbrauch der jungen Wehrpflichtigen sprach nicht unbedingt für ein ehrenhaftes Verhalten der beteiligten Staatssicherheitsoffiziere, da für solche Operationen erfahrene und speziell geschulte Personen notwendig waren.
Und so kam es am 22. März 1984 um 10:57 Uhr dann auch zur Katastrophe: Das MVM Fahrzeug fuhr aus einem Feldweg heraus und wurde sofort von einem Wachposten gesehen und gemeldet. Hinter dem Fahrzeug der Franzosen sperrte der URAL mit dem Tarnnamen JUWEL 82 die Straße, um dieser Situation zu entkommen beschleunigte Sergeant Mariotti sein Fahrzeug. Im selben Moment bog der URAL JUWEL 83 mit seinem Anhänger aus dem Brandbergweg heraus. Mariotti beschleunigte weiter und fing an, Schlangenlinien zu fahren, während der LKW auf die linke Seite zog. Der Mercedes versuchte mit seiner hohen Geschwindigkeit, in einer kleinen Lücke am URAL vorbeizuziehen. Allerdings reichte der Platz nicht aus und die Limousine krachte linksseitig frontal unter den geländegängigen und entsprechend hochbeinigen LKW.
Entgegen dem offiziellen – von den DDR Stellen verbreiteten – Unfallbericht ist allerdings davon auszugehen, dass der begleitende Staatssicherheitsoffizier dem wehrpflichtigen jungen Fahrer befohlen hatte, den URAL auf die linke Straßenseite zu lenken – in der Hoffnung, dass die Franzosen stoppen. Durch diese unsinnige Aktion kam es zu einem Todesfall und 2 Verletzten. Über Verletzungen des LKW Fahrers ist nichts bekannt, auch zu seinem weiteren Lebensweg können keine Angaben gemacht werden. Die Verantwortlichen der Stasi wurden trotz des misslungenen Einsatzes Geldprämien zugesprochen.
JUG✦84
KLASSENBRÜDER-WAFFENBRÜDER,
vereint unbesiegbar!
Dem Feind keine Chance!
Die Losung des Manöver JUG84 des Warschauer Paktes.