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Im Königreich Westphalen – Die kleine Harzgemeinde Wippra wird widerwillig Hauptstadt eines Kanton

Eine kurze Reise durch die Zeit: Über das Königreich Westphalen

Bild: Wappen des Königreiches Westphalen.

Das Königreich Westfalen – oder in der zeitgenössischen Schreibweise Westphalen – wurde nach dem Frieden von Tilsit ((Der Frieden von Tilsit wurde am 7. und 9. Juli 1807 zwischen dem Königreich Preußen und dem Russischen Kaiserreich sowie zwischen dem Kaiserreich Frankreich ausgehandelt. Infolge der Verhandlungen wurde das Königreich Preußen deutlich geschwächt und musste 50 Prozent seines Gebietes abtreten. Damit war auch in etwa eine Halbierung der Untertanen verbunden. Die preußische Königin Luise ging persönlich in Tilsit zu Kaiser Napoleon Bonaparte, um ihn um Abmilderung der Gebietsverluste zu bitten – allerdings vergeblich. Napoleon Bonaparte äußerte später, er habe während der Unterhaltung „Hardenbergs Papagei“ zu hören geglaubt. Für Preußen war der Frieden von Tilsit der Anstoß zu weitreichenden Staatsreformen.)) im Jahre 1807 durch den französischen Kaiser Napoleon Bonaparte gegründet. Napoleon Bonaparte wollte mit seinem „Royaume de Westphalie“ einen Modellstaat gründen, der politisch, administrativ und militärisch unter vollständiger Kontrolle Frankreichs stand und nach seinem Willen eine Vorbildwirkung für weitere deutsche Länder haben sollte. Das Gebiet umfasste in seiner Blütezeit in den Jahren zwischen 1811 und 1813 eine Fläche von mehr als 45.000 Quadratkilometer und war damit etwa so groß wie heute Niedersachsen. Gebildet wurde es aus vormals preußischen Gebieten westlich der Elbe, Teilen von Hessen und Braunschweig. Die zugehörigen Gebiete veränderten sich jedoch mehrfach. Als König über die etwa 2 Millionen Menschen im neuen Staat setzte Napoleon Bonaparte seinen jüngsten Bruder Jérôme ein.

Karte: Karte des Königreichs Westphalen im Jahre 1812.
Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz 3.0 Unported lizenziert. Urheber Ziegelbrenner.

Große Karte (*.png, 15. MByte)

Bild: Jérôme Bonaparte.

Jérôme Bonaparte regierte in Kassel und wurde von seinen Untertanen verächtlich KÖNIG LUSTIK genannt, denn er lernte nie richtig die deutsche Sprache. Damit wird man Jérôme Bonaparte und dem Königreich Westphalen im historischen Rückblick aber nicht gerecht. Im Königreich Westphalen wurde die Leibeigenschaft abgeschafft, genau so wie auch die Gerichtsbarkeit der Grundherren – die Patrimonialgerichtsbarkeit. Den Juden wurde Gleichberechtigung garantiert und als einheitliches Gesetzeswerk im Zivilrecht der Code Napoléon (auch als Code Civil bekannt) eingeführt. Deutsch und Französch waren gleichberechtigte Amtssprachen. Allerdings hatten die Reformen des Jérôme Bonaparte nur eine begrenzte Wirkung.

Tatsächlich war es so, dass Napoleon Bonapartes Frankreich als Mutterstaat wegen der ständigen Kriege in chronischer Geldnot war. Auf die Untertanen im Königreich Westphalen kamen daher hohe Abgaben in Form von Geld und Naturalien zu. Darauf werden wir später noch zurückkommen. Viel schlimmer wog aber, dass das Königreich Westphalen ein Kontingent an 25.000 Soldaten zu stellen hatte. Tatsächlich waren es aber 36.000 Soldaten, von denen nur 1.000 aus den Kriegen zurückkehrten. in der Schlacht von Borodino wurde der größte Teil des 28.000 Mann starken Kontingents des napoleonischen Russlandfeldzuges vernichtet. Das elende Sterben auf Schlachtfeldern für die Interessen einer fremden Macht prägte das Leben der Menschen jener Zeit. Auf diese Weise blutete der Landstrich innerhalb weniger Jahre wirtschaftlich aus.

Bild: Truppen des Königreichs Westphalen im Kriegseinsatz 1812.
Ausschnitt aus dem Buch: „Königlich westfälische Truppen. 1812“ von Richard Knötel.
Von links: Trainsoldat, Garde Chevauxleger Lancier, Kürassier-Offizier (verwundet) , Karabinier, Linien-Infanterist.
Dieses Bild ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

Da in der zu dieser meist bäuerlich geprägten deutschen Bevölkerung – vom einfachen Landmann bis zum Schulzen – und auch bei Bürgertum und Adel die von einer fremden Besatzungsmacht aufgezwungenen Reformen keinen wirklichen Anklang fanden, installierte Jérôme Bonaparte ein System von Spitzeln und Denunzianten. Die Polizei wurde massiv aufgestockt. Diese Maßnahmen konnten aber nicht verhindern, dass es immer wieder zum Widerstand gegen Abgabenlieferungen und die bis dahin nicht dagewesene allgemeine Wehrpflicht gab. Gelegentlich kam es auch zu offenen Aufständen. Allerdings war der Widerstand gegen die Besatzungsmacht in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich verteilt. Die Bewohner in den ehemals preußischen Landesteilen waren schließlich unbedingten Gehorsam gewöhnt …

Das Königreich Westphalen fand nach der Völkerschlacht bei Leipzig ein jähes Ende. Am 1. Oktober 1813 nahmen Kosaken die Stadt Kassel ein und erklärten das Königreich für aufgelöst. Nach ihrem Abzug kam Jérôme Bonaparte noch einmal in einer Art stillem Staatsstreich für wenige Tage zurück. Ende November 1813 kehrte der Kurfürst von Hessen in seine Residenz zurück und führte die politischen Zustände vor dem Frieden von Tilsit wieder ein. Auch in den anderen Teilen des ehemaligen Königreichs Westphalen wurden die alten administrativen und territorialen Zustände wieder hergestellt. Lediglich die starke Festung Magdeburg kapitulierte erst im Mai 1814 mit der Abdankung Napoleon Bonapartes. Jérôme Bonaparte durfte nach seiner Abdankung als König mit Erlaubnis seines Schwiegervaters, König Friedrich I. Wilhelm Karl von Württemberg, immerhin fortan den Titel Prinz von Montfort tragen.

Bild: Das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig.
Historisches Foto aus den 1930er Jahren. Aufnahme von Ronald Ecke.

Das Kanton Wippra im Königreich Westphalen

Die Gliederung des Kanton Wippra im Unterharz

Im Königreich Westphalen wurden 7 Departements geschaffen, die nach den Flüssen Elbe, Saale, Ocker, Leine, Weser, Werra Fulda, Fulda sowie dem Harz ((Das Departement Harz bestand im Wesentlichen aus dem westlichen Harzvorland und dem Eichsfeld. Der eigentliche Harz gehörte zum Departement Saale mit der Präfektur in Halberstadt.)) benannt wurden. Zum Departement Saale musste das Königreich Sachsen als Ausgleich für den im Frieden von Tilsit von Preußen erhaltenen Kreis Cottbus auch Eisleben und seinen Anteil am Unterharz an das Königreich Westphalen abtreten. Aus den alten Ämtern Rammelburg und Morungen sowie den ehemals preußischen Orten Molmerswende und Dankerode wurde per Dekret und praktisch über Nacht der Kanton Wippra gebildet. Der Kanton Wippra gehörte zum Arrondissement Halle (an der Saale) als Unterpräfektur sowie zu Halberstadt als Präfektur des Departements Saale.


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Der Kanton Wippra hatte etwas mehr als 4.200 Einwohner. Die Orte des Kanton wurden, wie in Frankreich auch, von einem MAIRE – dem Bürgermeister – verwaltet. Im Kanton Wippra gab es 8 Mairien:

Bild: Die Kirche von Molmerswende im Jahre 2009. Der Kirchturm ist inzwischen abgetragen.
Originalfoto © 2009 by Bert Ecke. Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

Den Mairien stand ein Kantonmaire vor, der dem Unterpräfekten in Halle an der Saale sowie dem Präfekten in Halberstadt unterstellt war. In besonderen Fällen war dem Kantonmaire ein Munizipalrat beigeordnet. Das Amt des Kantonmaire des Kanton Wippra überforderte offenbar den ersten Amtsinhaber, denn es wechselte in den ersten Jahren des Königreiches Westphalen. Nachdem der Kantonmaire Adelbert aus Wippra – er war Kaufmann und Steuereinnehmer – scheiterte, wurde der von Hettstedt namens Honigmann, eingesetzt. Er hatte nun zwei Kantone zu verwalten.

Im Hauptort Wippra wurde ein Kantonsfriedensgericht eingerichtet, das aber nur für die Verhandlung geringer Streitigkeiten, Strafsachen und Vormundschaftsklagen zuständig war. Hypothekenklagen wurden weiterhin in Rammelburg vom ehemaligen Patrimonialrichter Wenzel des Amtes Rammelburg (!) verhandelt. Der Patrimonialrichter fungierte auch als Notar. Weshalb im Kanton Wippra unter den sonst so auf Effizienz bedachten Franzosen die Gerichtsbarkeit so inkonsequent organisiert wurde, ist heute nicht mehr herauszufinden.

Bild: Das Schloss Rammelburg im Wippertal.
Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

Die angeordnete Ableistung der Eidesformel auf König Jérôme Bonaparte in Wippra – Und alle schweigen!

Damals war es allgemein üblich, dass sich Herrscher von ihren Untertanen huldigen und die Treue schwören ließen. So wurden auch die Menschen im Kanton Wippra zum Treueschwur beordert. Für Jérôme Bonaparte war dies kein guter Tag, doch lassen wir einen Augenzeugen zu Worte kommen: „Am 21. Aug. 1808 war der traurig feierliche Sonntag X post Trin., an welchem der bisher sächsisch gewesene Anteil der Grafschaft Mansfeld öffentlich den Eid der Treue und des Gehorsams dem Könige von Westfalen Hieronymus Napoleon schwören musste. Diese Huldigung geschah in Wippra auf dem Anger oder Markte, wo der Herr Friedensrichter Kaupisch im Namen des Königs die Huldigung übernahm. Ohngeachtet mehr als 3000 Menschen (!), denn auch Dankerode, Rothe, Horla, Leinungen und Morungen sollten Treue schwören, zugegen waren, so hörte man doch keine 5 bis 6 Stimmen: Ich schwöre.“ (Quelle /1/).

Bild: Die Gaststätte Schieferhaus in Wippra. Hier waren einst auch das Amtsgericht und das Gefängnis untergebracht.
Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

Diese Worte schrieb der Pfarrchronist des Dorfes Biesenrode in sein Kirchenbuch. Die Verweigerungshaltung der Menschen hatte kein weiteres Nachspiel. Die Prediger aus den Orten des Kantons unterschrieben kurzerhand die Eidesformel – vielleicht auch auf Druck von höherer Seite. Ob die Eidesverweigerung jemals bis zu Jérôme Bonaparte gedrungen ist, darf bezweifelt werden. Die politischen Verhältnisse waren wahrscheinlich eher so, dass gegenüber der übergeordneten Verwaltung bewusst die Unwahrheit gemeldet wurde, um seine Pfründe zu sichern und seine Ruhe zu haben.

Auch der Bericht über die Feier anlässlich des 26. Geburtstages von Jérôme, nach dem jeder Anwesende mit „wahrem Enthusiasmus die Gebete für das Wohl des geliebten Königs dem Höchsten“ gebracht hat, dürfte eine glatte Lüge gewesen sein (Quelle /1/). Wenn die Menschen in Mitteldeutschland vor der Gründung des Königreiches Westphalen auch in einem heillos territorial zersplitterten Flickenteppich von Kleinstaaten gelebt hatten, deren Herrscherhäuser sich immer wieder in blutigen Kriegen bekämpften, waren sie sich in der Ablehnung einer fremden Macht offenbar dennoch einig und entwickelten wahrscheinlich zum ersten Mal eine Art deutsches Nationalgefühl.

Bild: Die Kirche von Biesenrode.
Originalfoto © 2009 by Bert Ecke. Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

Vom ungewohnten Regieren in der französischen Bürokratie – Stress pur für die deutschen Beamten

Frankreich ist bis heute für die Organisation einer straffen und effizienten Verwaltung bekannt. Die damaligen Maires im Kanton Wippra – sie waren allesamt Deutsche und in ihrer engen Umgebung verwurzelt – hatten es schwer, mit den neuen Verhältnissen klarzukommen. Die Präfektur verlangte die Aufstellung eines Finanzetats für die einzelnen Mairien. Ein Planung von Einnahmen und Ausgaben gab es aber bis dahin weder im preußischen noch im sächsischen Teil der ehemaligen Grafschaft Mansfeld.

Im Kanton Wippra kam ein erster Finanzplan erst 1811 zustande – und zwar rückwirkend für 1810. Der Präfekt im für damalige Verkehrsverhältnisse fernen Halberstadt war jedoch unnachgiebig und mahnte im September 1811 per Erlass seine Maires, dass sie sich bezüglich der Gemeinderechnungen und Budgets einer schnelleren Arbeitsweise bemühen mögen.

Bild: Auf dem Domplatz zu Halberstadt.
Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

Der Erlass des offenbar schon etwas putzigen aber dennoch wortgewaltigen Präfekten Goßler in Halberstadt schloss: „Wir alle aber, die wir dazu berufen und verpflichtet sind, das Wohl und Beste des Staates, das Wohl und Glück unserer Mitbürger zu befördern, wir alle wollen uns untereinander anmahnen und anfeuern, dieser heiligen Pflicht stets eingedenk zu sein, sie stets vor Augen und im Herzen zu haben, unermüdet zu streben nach Ordnung, nach Rechtlichkeit und Sittlichkeit und durch unser Beispiel auch andere dazu zu ermuntern. Von solchem Geiste beseelt, werden wir vereint durch nützliche und sittliche Tätigkeit gewiß viel Gutes wirken; wir werden dann auf Achtung und das Vertrauen unserer Mitbürger und auf den Beifall und die Unterstützung höherer und höchster Behörden mit Zuversicht rechnen können und in Zeit und Ewigkeit wird uns unser eigenes Bewußtsein, das Zeugnis eines guten Gewissens und die Gewißheit von dem Wohlgefallen Gottes des Allerhöchsten beglücken:

Wie jeder wägt, wird ihm gewogen,
Wer glaubt, dem ist das Heil ja nah‘,
Wort gehalten wird in jenen Räumen
Jedem schönen gläubigen Gefühl.“

(Quelle: /1/).

Der Ton von höheren Verwaltungsstellen an untergeordnete war – zumindest im Schriftwechsel – ausgesprochen höflich aber auch gleichzeitig extrem distanziert. Der Kantonmaire beendete seine Briefe an seine Maires stets so: “ Empfangen Sie die Versicherung meiner Hochachtung.“ Auch der Friedensrichter des Kantons schrieb an den Maire von Wippra: “ … und ersuche Sie nur noch, die Versicherung meiner Hochachtung genehmigen zu wollen.“ Der Maire von Wippra schrieb bestimmt aber nicht minder höflich: „Mein Herr! … so veranlasse ich Sie hierdurch, Sich in meinem Bureau einzufinden und das weitere zu gewärtigen. Zugleich nehme ich die Gelegenheit, Ihnen meine Hochachtung zu versichern.“ (Quelle /1/).

Die Sicherheit der Grande Nation geht vor – Wippra bekommt eine Polizeistation

Offenbar war das Vertrauen der höheren Verwaltung in die Bevölkerung des Kanton Wippra nur sehr gering. Zum Schrecken der Wippraer wurde Ende des Jahres 1810 ein Polizeitrupp, bestehend aus vier Gendarmen mit einem Brigadier in den Ort verlegt. Die fünf Polizisten konnten nur unter Schwierigkeiten überhaupt in dem kleinen Ort untergebracht werden. Die Polizeitruppe hatte in Wippra schlichtweg nichts zu tun – und saß offenbar den ganzen Tag im Wirtshaus, besoff sich und ließ es sich Wohlergehen. Als die gelangweilten Gendarmen samt ihrem Brigadier im Juni 1811 aus ihrem kleinen Paradies abgezogen wurden, waren bei der Gemeinde Wippra durch die kurze Stationierung immerhin Kosten von 1.300 Talern aufgelaufen.

Bild: Französische Gendarmerie um 1819 – Oberstleutnant.
Gemälde eines unbekannten Künstlers.
Dieses Bild ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

Wie so oft in der Geschichte war der Abzug dann doch etwas voreilig, denn die politischen Verhältnisse in Europa änderten sich zunehmend zu Ungunsten von Napoleon Bonaparte und damit auch seiner Satellitenstaaten. Am 30. Dezember 1812 schloss der preußische Generalleutnant Yorck mit dem russischen General Diebitsch in Tauroggen – dem heutigen Tauragė in Litauen – ein Waffenstillstandsabkommen. Am 28. Februar 1813 unterzeichneten die Staaten Preußen und Russland einen Bündnisvertrag. Am 16. März des selben Jahres erklärten Preußen und Russland dem Kaiserreich Frankreich den Krieg. Diese Nachrichten drangen auch bis in das Königreich Westphalen vor und verursachten unter der Bevölkerung eine gewisse Unruhe, bis hin zur Verweigerung des Gehorsams.

Das Ende des Kanton Wippra

Unterpräfekt Piautaz sah sich im Vorfeld der Kriegserklärung genötigt, gegenüber den Maires darauf hinzuweisen, dass Russland gegenüber Frankreich ein schändliches Werk betreibe. Ende Februar teilte er den Maires mit, dass alle Gerüchte um eine Annäherung feindlicher Truppen durch Wucherer und Spekulanten gestreut und völlig grundlos seien. Seine Maires wurden ermahnt: “ Ich ersuche Sie hiernach die Gemüter Ihrer Administrierten zu beruhigen.“ (Quelle /1/). Diese Ermahnung war auch nötig, denn es kam zu ersten Fällen von Verweigerung der Abgabenzahlung an das Königreich Westphalen. Einige der steuerpflichtigen Untertanen sahen sich beim Annähern der ersten Truppen gänzlich von ihrer Steuerpflicht entbunden.

Bild: Szene aus der Schlacht bei Möckern.
Gemälde von Richard Knötel (zwischen 1880 und 1914).
Dieses Bild ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

Der Präfekt reagierte nach der Kriegserklärung am 6. April 1813 mit einem Erlass: “ Allem und Jedem wollen Sie die einfache verständliche Wahrheit ernstlich vorhalten, daß Ungehorsam, Untreue und dergl., sowie alles, was Unrecht ist, unausbleiblich und unter allen Umständen Verderben mit sich führt. Der Erlass war eine reine Durchhalteparole, denn die Wirklichkeit sah längst anders aus Nur wenige Tage später rückten die ersten Kosaken in Wippra ein …

Bild: Saporoger Kosak.
Gemälde von Serhii Vasylkivsky (1854–1917) aus dem Jahre 1900.
Dieses Bild ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

Am 26. März 1813 benachrichtigte der Präfekt seine Untertanen, dass „eine Räuberbande“ von 30 Mann in der Uniform des 2. Westfälischen Husarenregimentes in Osterwieck und Derenburg die Kantonskassen geplündert hätten. Es kam allenthalben zu Dessertationen und zum Überlaufen von Untertanen. Der Präfekt drohte, dass Verwandte oder andere Gemeindemitglieder ersatzweise zum Kriegsdienst eingezogen würden.

Der Verfall des Königreiches Westphalen war aber trotz der üblen Androhung von Sippenhaft nicht mehr aufzuhalten. Bald kam es zu Steuerverweigerungen in im größeren Ausmaß. Der Präfekt begann langsam zu resignieren: „Von allen Seiten gehen mir Anzeigen zu, daß die Einwohner des Bezirks sich zu gütlichem Abtrag der von ihnen verlangten öffentlichen Abgaben und Lasten sich nicht mehr zu verstehen wollen.“ (Quelle /1/).

Die Abgabenlast im Kanton Wippra in der napoleonischen Zeit

Bezüglich der Abgabenlast gilt es, zwei Zeitabschnitte zu betrachten: Erstens die Zeit vor der Kriegserklärung Preußens und Russlands an Frankreich und zweitens die Zeit um die Völkerschlacht bei bei Leipzig. Wie bereits erwähnt, war Frankreich wegen der ständigen Kriege in akuter Geldnot. Diese führte im Königreich Westphalen zu einer Säkularisierung von Kirchengütern. Diese Güter wurden unter anderem an wohlhabende Bürger – wie etwa den Magdeburger Kaufmann Nathusius – verkauft. Das Steuersystem wurde zudem schrittweise vereinheitlicht und auch Adelige waren unter Jérôme Bonaparte grundsteuerpflichtig.

Die Verbrauchssteuern waren aber insgesamt geringer als vorher. Der Adel konnte sich der Besteuerung nur schwer entziehen, denn das Steuersystem war sehr effizient und das System von Spitzeln und Zuträgern erwies sich diesbezüglich ebenfalls als hilfreich. Die Besteuerung wurde laufend angepasst und insbesondere der Adel hatte im Laufe der Jahre mehr zu zahlen. Als besonders drückend wurde von der Bevölkerung allerdings die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht empfunden, denn von den ausgehobenen Soldaten kehrten nur wenige aus den Kriegen zurück.

In den Monaten vor und während Völkerschlacht stieg die Abgabenlast, sowohl in Form von Geldleistungen als auch Naturalienlieferungen an die Franzosen stark an – selbst zu Zeiten, als der Kanton schon von Kosaken besetzt war. Für die Orte im Kanton Wippra bedeutete dies eine Doppelbelastung, denn auch die mit Preußen verbundenen Truppen forderten ihre Verpflegungskontingente ein.

Es ist heute unvorstellbar, wie all die Lieferungen im nur bedingt landwirtschaftlich nutzbaren Unterharz und dem damaligen Stand der Landwirtschaft überhaupt aufgebracht werden konnten. Die folgenden Angaben beziehen sich mangels näherer Angaben in den Quellen auf sächsische Maße, denn der Großteil des Kanton Wippra war ehemals dem sächsischen Teil der Grafschaft Mansfeld zugeordnet. Legt man preußische Maße zu Grunde, erhöht sich die Abgabenlast bei Hohlmaßen noch um ein Vielfaches.

Bild: Fuhrwerk mit Kuh bei der Ernte.
Historisches Foto aus den 1930er Jahren. Aufnahme von Ronald Ecke.

Im April des Jahres 1813 hatte der Kanton Wippra an die Kosaken in Hettstedt und Klostermansfeld zu liefern (jeweils auf die sächsische Notation bezogen und gerundet):

 Am 27 April kam die Aufforderung an Wippra aus dem Hauptquartier der Grande Armée in Italien umgehend nach Eisleben zu liefern (jeweils auf die sächsische Notation bezogen und gerundet):

Der Maire von Wippra tat, was das Gebot der Stunde war: Er erhob höflich Einspruch. Dem wurde nicht stattgegeben, stattdessen beschied man, dass nun nach Merseburg zu liefern sei, andernfalls wäre mit Exekution zu rechnen. Der Präfekt, um Vermittlung angerufen, riet in dieser Sache zum Stillhalten. Diese Lieferung wurde in den Kriegswirren auch nicht noch einmal eingefordert. Allerdings wurde am 10. Mai eine Kuh mit vier Zentnern (205 Kilogramm) fällig – diesmal an das 2. Französische Korps nach Bernburg zu liefern. Dies beschreibt eindringlich die Dynamik des Kriegsverlaufes.

Bild: Handwerk war in historischer Zeit unentbehrlich – hier der Stellmacher.
Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

Bild: Handwerk war in historischer Zeit unentbehrlich – hier der Sattler.
Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

Bilder: Handwerk war in historischer Zeit unentbehrlich – hier der Hausschlachter. In Kriegszeiten blieb der Bevölkerung von den Früchten ihrer Arbeit nicht viel übrig. Die durchziehenden Armeen forderten ihre Fourage- und Lebensmittellieferungen, egal ob Freund oder Feind.
Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

 Am 11. Juni 1813 war ein Fuder (825 Kilogramm) Heu an die russische Kavallerie fällig. Inzwischen wurde ein Waffenstillstand geschlossen – oder wie der von Frankreich eingesetzte Unterpräfekt es nannte – die wiederhergestellte Ordnung der Dinge. Der Kanton Wippra hatte weiter zu liefern, und zwar diesmal nur an die Franzosen in den Magazinen Halberstadt, Halle und der Festung Magdeburg :

Nach Vermittlung durch den Präfekten wurde von der Bierlieferung vernünftigerweise abgesehen, denn die damalige Bierqualität hätte einen längeren Transport und eine Lagerung nicht zugelassen. Stattdessen hatte der Kanton für 14 Tage eine Anzahl Zimmerleute zur Festung Magdeburg auf eigene Kosten zu entsenden, was noch viel schlimmer war. Zusätzlich wurden noch 2.096 Säcke mit Erde in die Festung Magdeburg geliefert, der Materialpreis pro Sack betrug in Halle bei Fa. Hirsch 6 Groschen 6 Pfennige. Es gab also auch damals Kriegsgewinnler!

Bild: Der südliche Stadtrand von Leipzig am 19. Oktober 1813.
Gemälde von Christian Gottfried Heinrich Geißler aus dem Jahre 19815.
Dieses Bild ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

Eine noch von der französischen Armee von Wippra eingeforderte Lieferung an das Magazin in Halle an der Saale, die am 21. Oktober abgeliefert wurde, kam bereits vollständig der preußischen Armee zu Gute (alle Maße wiederum nach sächsischer Notation):

Bild: Blick von der Quandtschen Tabacksmühle über das Schlachtfeld auf Leipzig.
Gemälde von Ernst Wilhelm Straßberger aus dem Jahre 1813.
Dieses Bild ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

Das war die letzte große Lieferung an Naturalien, die der Kanton Wippra abzuleisten hatte. Das Kriegsglück hatte sich am 19. Oktober endgültig zu Gunsten Preußens und Russlands gewendet. Das Königreich Westphalen ging an diesem Tag praktisch unter und Preußen gelangte wieder zu dem alten Ruhm, den es sich unter Fridericus Rex – den Deutschen besser bekannt als Friedrich der Große – erkämpft hatte.

Der preußische Adler wurde unter dem Jubel der Bevölkerung auch in Wippra gesetzt. Die hohe Steuerlast und und auch die Einquartierungen blieben erst einmal erhalten, denn Preußen brauchte für den Kampf gegen die immer noch von französischen Truppen besetzte starke Festung Magdeburg eine ganze Menge an Verpflegung für seine Soldaten und Pferde.

Der Kanton Wippra nach der Völkerschlacht bei Leipzig

Die Mehrzahl der Einwohner im Kanton Wippra dürfte nach dem Ende der Völkerschlacht desillusioniert gewesen sein. Verfassung und Steuern wurden erst einmal nicht geändert. Der Unterpräfekt – heute ist nicht mehr feststellbar, ob es derselbe aus der Zeit des Königreiches Westphalen war, obgleich der Schreibstil durchaus diesen Schluss zulässt – bemerkte: “ …, daß die Untertanen vieler Gemeinden, besonders die der Grafschaft in dem Wahne stehen, als wären durch die jetzige Lage der Dinge von der Verbindlichkeit, die bisher gesetzmäßigen Abgaben, besonders die indirekten, ferner wie bisher abzutragen befreit.“ (Quelle /1/). Unter dem neuen Herren Preußen stieg die Steuerlast erst einmal an und auch die Zahl der einquartierten Soldaten mit all den Unannehmlichkeiten einer Einquartierung, von denen etwa hohe Wirtshauskosten noch die erträglichsten waren, blieb unter dem neuen Herren konstant hoch.

Bild: Preußisches Heer 1813.
Ausschnitt aus dem Buch: „Die preußische Armee von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart (1883)“ von Richard Knötel.
Von links: Garde zu Fuß (1. Regiment), Garde zu Fuß (2. Regiment), Garde zu Fuß (Offizier), Musketier (Westpreußisches Regiment), Grenadier (Ostpreußisches Regiment), Füsilier (Pommersches Regiment), Infanterie-Offizier (Schlesisches Regiment), Pionier, Tambour (Märkisches Regiment), Jäger.
Dieses Bild ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

Im Jahre 1815 wurde die Preußische Provinz Sachsen gegründet. Das Königreich Sachsen hatte in Folge des Wiener Kongresses weite Gebietsteile an Preußen abzugeben. Dazu gehörte auch die Grafschaft Mansfeld mit Wippra. Die Gemeinde Wippra wurde im Jahre 1826 zumindest teilweise mit 65 Talern und 12 Groschen für die Lieferungen von Heu, Stroh, Essig und Erdsäcken an die Magazine in Halle, Halberstadt und Magdeburg entschädigt.

Als m Jahre 1836 ein Herr Böhme versuchte, weitere Entschädigungszahlungen von Preußen zu erwirken, wurde er vom preußischen Staat ernstlich deswegen verwarnt und seine Klage wurde abgewiesen. Am 1. Oktober 1816 wurde der Mansfelder Gebirgskreis mit Sitz in Mansfeld gegründet, zu dem auch Wippra gehörte. Wippra blieb fortan ein unbedeutender und verschlafener – wenn auch malerisch gelegener – Ort im Unterharz.

Bild: Die Kirche von Wippra im Winter 2011/2012.
Render © 2012 by Birk Karsten Ecke.

Quellenangabe:
/1/ Schotte, H.:
„Rammelburger Chronik“
Verlag Steffen Iffland Nordhausen
2. Auflage 2006
ISBN 3-9808937-6-6

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