Johann Gottfried Wilhelm Gangloff wurde am 23. Mai 1794 in Hohlstedt in der Goldenen Aue geboren. Seine Eltern waren Weber, deshalb kann angenommen werden, dass er in Armut aufwuchs. Seine soziale Herkunft bedingte, dass auch Gangloff nur den Beruf des Webers erlernen konnte. Im Jahre 1817 heiratete er. Über seine Familie ist fast nichts bekannt, außer dass er vier Söhne und zwei Töchter hatte. Seit mindestens 1819 lebte er in Sylda ((Gangloffs ehemaliges Wohnhaus in Sylda ist heute nicht mehr zu besichtigen. Es wurde am 4. August 1981 abgerissen, als ein 140-Tonnen-Bagger von Hettstedt nach Nachterstedt verlegt werden musste.)) im Mansfelder Land.
Wie und wann genau er zum Wilderer wurde, ist heute nicht mehr genau rekonstruierbar. Sicher war es auch teilweise die große Not, unter der die Weber jener Zeit zu Leiden hatten. Weber waren immer arme Leute, die sehr hart für eine geringe Entlohnung arbeiten mussten. Gerade zu Lebzeiten Gangloffs kamen die Auswirkungen der industriellen Revolution hinzu: das Tuch wurde im Ausland wesentlich billiger maschinell hergestellt. Wie auch immer, Wilddieberei in jener Zeit war oft ein Mittel, dem allgegenwärtigen Hunger zumindest zeitweise zu entkommen und wenigstens gelegentlich ein Stück Fleisch essen zu können. Gangloff hatte beim Wildern seine eigene Strategie entwickelt. Er beobachtete die Forstbeamten sehr genau, oft über Tage oder Wochen, um herauszufinden, welche Einstellung diese gegenüber ihrem Dienst hatten. Sein Netzwerk an persönlichen Kontakten kam ihm dabei sehr zu Gute. Er hatte beste Verbindungen zu den Holzhackern, Dienstmägden, Leinewebern, Gastwirten und in den ersten Jahren seiner Wilderei sogar zum Baron von der Asseburg.
Dazu kam, dass er eine ausgesprochene Menschenkenntnis hatte und Situationen blitzschnell erfasste. Natürlich haben ihm auch die natürlichen Gegebenheiten des Harzes mit seinen Hügeln, Höhlen und seinem Waldreichtum genützt. Gangloff jagde in einem für damalige Begriffe sehr großem Gebiet. Er wilderte in der Gegend um Querfurt und Naumburg, auf der Hainleite, der Schmücke, dem Kyffhäuser, in Herzberg am Harz, im Harz selbst und auch im Hakel. Auf diese Weise konnte Gangloff über einen langen Zeitraum keine Wilddieberei nachgewiesen werden, so sehr man sich auch darum bemühte. Gangloff wurde in diesen Jahren sogar mehrfach vom Baron von der Asseburg zu Gesellschaftsjagden eingeladen und war dort ein sehr gern gesehener Jagdkamerad.
Gangloff war ein ausgezeichneter Schütze. Das bewies er nicht nur auf den Schützenfesten, sondern auch auf den Gesellschaftsjagden. Er schoss immer mit der Kugel, auf auf Niederwild. Schrotladungen rührte er nicht an. Auch von seinen Söhnen verlangte er Treffsicherheit. Wenn er mit ihnen das Schießen übte, gab er ihnen für jeden Fehlschuss eine Ohrfeige. Wenn er jagde, nutzte er die Höhlen des Unterharzes als Quartier, Versteck, Räucher- und Pökelkammer. Gangloff konnte dank seiner ausgezeichneten Verbindungen zu Fuhrleuten das erlegte Wild unentdeckt verkaufen.
Doch um das Jahr 1834 kam es, wie es kommen musste. In diesem Jahre wurde der junge Revierjäger Carl Stief in den Harz versetzt. Stief hatte einen tiefen Hass auf Gangloff, weshalb kann heute nicht mehr mit Sicherheit gesagt werden. Stief, der einen oft aufbrausenden und unbeherrschten Charakter hatte, machte aus seiner Abneigung gegen Gangloff auch in der Öffentlichkeit keinen Hehl. Bald war allgemein bekannt, dass der Jäger nur Reviergänge machte, um Gangloff bei der Wilderei zu stellen. Am 29. September 1834 war Stief auf der Pirsch. Am Abend kehrte sein Schweisshund völlig verstört nach Hause zurück. Die Frau des Jägers alarmierte sofort den Vorgesetzten ihres Mannes, der auch umgehend eine Suchaktion organisierte. Aber erst zwei Tage später konnte die Leiche des jungen Mannes gefunden werden. Es stellte sich heraus, dass Stief erschossen wurde, und zwar mit mit einer Schrotladung!
Die Beamten des Barons von der Asseburg, die von Gangloff oft genug bloßgestellt wurden, erinnerten sich an den Konflikt mit Stief und bald kam in den Dörfern das Gerücht auf, dass nur Gangloff der Mörder sein konnte. Gangloff kam in Untersuchungshaft, wurde aber mangels Beweisen wieder frei gelassen. Am 10. Oktober 1834 setzte der Baron von der Asseburg ein Kopfgeld von 100 Talern für die Ergreifung des Mörders seines Revierjägers aus. An Gangloff haftete von nun an der Verdacht, ein Mörder zu sein und er stand unter ständiger behördlicher Beobachtung.
Dennoch konnte er das Wildern nicht lassen. Ende des Jahres 1836 verlor der sonst so beherrschte Gangloff langsam die Nerven: An einem Vollmondabend saß in einer Baumkrone der Revierjäger Siebert aus Pansfelde auf einen Dachs an. Zufällig kam Gangloff genau unter Sieberts Baum vorbei, ebenfalls auf der Pirsch und bewaffnet! Siebert muss ein Geräusch verursacht haben, jedenfalls fuhr Gangloff erschreckt zusammen und gab einen Schuss auf den Revierjäger ab. Siebert hatte Glück und wurde nicht getroffen, fiel aber vor Schreck vom Baum, völlig unverletzt. Gangloff – auf Grund der für ihn neuen Situation völlig verstört – flüchtete augenblicklich. Nach dem Bericht des Försters wurde die Belohnung, die auf Gangloff ausgesetzt war, nochmals erhöht.
Am 10. Juni 1837 wurde Gangloff vom oben genannten Revierjäger Siebert angeschossen, als sie sich ein zweites Mal gegenüberstanden. Ein Barbier fand Gangloff schwer verletzt noch am gleichen Abend im Wald bei Molmerswende, als er versuchte, seine verletzte Schulter zu kühlen. Gangloff wurde in eine Pansfelder Gastwirtschaft gebracht und notdürftig versorgt. Nach dem sich sein Zustand etwas gebessert hatte, wurde er nach Sangerhausen in das Inquisitoriat gebracht und inhaftiert. Im Gefängnis legte Gangloff ein umfassendes Geständnis über seine Taten als Wilderer ab.
Interessant ist, dass die Jäger des Harzes Geld für Gangloff sammelten, um seinen Gefängnisaufenthalt durch eine Aufbesserung der Verpflegung erträglicher zu machen. Am 9. November des gleichen Jahres erlag er im Gefängnis im nahen Sangerhausen seiner schweren Schussverletzung. Das Sterberegister von 1837 vermerkte zu seinem Tode lapidar: „Am 9. November Vormittags um zehn Uhr starb Gottfried Wilhelm Gangloff, …, welcher wegen Verdachts der Tötung eines Menschen bei hiesigem Inquisitoriate in Haft und Untersuchung befindlich gewesen und hat Frau und Kinder hinterlassen. Er starb an den Folgen einer beigebrachten Schusswunde. Beerdigung war gratis.“
Gangloff wurde einfach irgendwo an der Stadtmauer von Sangerhausen verscharrt, wo genau weiß heute niemand mehr. In seinem Heimatort Sylda aber fand der größte Trauerzug statt, den der Harz vermutlich jemals gesehen hatte. Gangloffs Witwe wurde mit Beileidsbezeugungen überschüttet und selbst die Jägerschaft, die von Gangloff so oft gedemütigt und bloßgestellt wurde, sammelte auf einer Gemeinschaftsjagd Geld zur Errichtung eines Kreuzes zu Ehren Gangloffs. Im gleichen Jahr wurde ein ehemaliger Freund des Revierjägers Stief todkrank. Auf dem Sterbebett gestand er, Stief erschossen zu haben. Als Grund nannte er, dass er die Schulden, die er bei Stief hatte, nicht zurückzahlen konnte.
Zur Legende wurde Gangloff bereits zu Lebzeiten, weil er ein äußerst besonnener und zielsicherer Schütze war. Sein Mut und seine durchdachte Wilddieberei brachte ihm die Sympathie der Landbevölkerung ein, deshalb wurden seine Taten Teil des regionalen Sagenschatzes. Den einfachen Menschen imponierte, dass sich einer von ihnen erfolgreich gegen die übermächtig erscheinende Obrigkeit zur Wehr setzte, ihr wirtschaftlichen Schaden zufügte und und sie zur Witzfigur machte. So wurden ihm von den Menschen seiner Zeit Eigenschaften nachgesagt, die er niemals besessen hat. Alles, was über seine unermesslichen Kräfte und seinen riesenhaften Wuchs verbreitet wurde, gehört dem Reich der Legenden an. Ein Steckbrief des Königlichen Inquisitoriates zu Sangerhausen von 1836 beweist dies. Gangloff war nur durschnittlich groß.
Auch um seinen Tod ranken sich zahlreiche Mythen und Legenden. So zum Beispiel die heroisch erscheinende Geschichte, dass Gangloff von einem Sohn des Revierjägers Siebert erschossen wurde, der damit den Tod seines Vaters rächen wollte. Nichts von dem ist war. Die Geschichte Gangloffs hat das Ende genommen, die sie nehmen musste: Gangloff starb im Gefängnis von Sangerhausen an den Folgen einer Schussverletzung, die ihm ein Förster beigebracht hat. Ihn hat das gleiche Schicksal ereilt, wie viele andere Wilderer seiner Zeit auch. All seine Cleverness und Vorsicht hat ihn nicht davor bewahrt, auf jemanden zu stoßen, der schneller schoss.
Zu Lebzeiten und kurz nach seinem Tode war das Thema Gangloff in der Öffentlichkeit ein Tabu. Zu groß war der politische Einfluss der jagdberechtigten Grundbesitzer. Erst ab 1871, mit der Reichsgründung, wurden Lieder und Gedichte über Gangloff verfasst. Die Tageszeitungen widmeten sich dem Thema Gangloff und auf den Märkten trugen Puppentheater seine Lebensgeschichte vor. Dabei blieb die reale Geschichte meist auf der Strecke. Immerhin war die ausgiebige Beschäftigung mit einem ehemals „Vogelfreien“ ein Zeichen dafür, dass sich in Deutschland ein gewisser Liberalismus etablierte.
Zu Zeiten der sozialistischen Machthaber wurden von offizieller Seite nicht viel Worte über Gangloff verloren. Die DDR-Elite hatte in dieser Beziehung viel mit den Feudalherren gemeinsam. Das Volk hatte dem Sieg des Sozialismus zu dienen, nicht aufmüpfig zu sein und vor allem nicht über Missstände nachzudenken. In der Gemeinde Sylda wird das Andenken an den Wildschützen Gangloff heute wieder hochgehalten. Die Bürger stellten zu Ehren Gangloffs einen Stein auf dem Platz vor der Gemeindeverwaltung auf.
Das Gangloff-Lied
Jetzt nehm ich meine Büchse,
und gehe in den Wald.
Dort will ich mir ein Hirschlein schießen,
sei es jung oder sei es alt.
Das Hirschlein ist geschossen,
hat die Füßlein ausgestreckt.
Sieh, da kamen drei, vier Jäger,
hatten sich im Wald versteckt.
Guten Tag, hübscher junger Jäger,
was machst Du denn hier?
Deine Büchse, deine Büchse,
die nehmen wir jetzt dir!
Meine wunderschöne Büchse,
die gebe ich euch nicht.
Denn vor sechs oder sieben Jägern,
da fürchte ich mich nicht.
Jetzt tu ich’s und jetzt treib ich’s,
wie’s mein Vater hat getan.
Denn nach sechs oder sieben Jägern,
hat er noch nie gefragt.
Jetzt nehm ich meine Feder,
steck’ sie oben an mein Hut.
Und den Hundsfott will ich sehen,
der sie mir abreißen tut!