Zuletzt geändert am 5. Januar 2013 von
Es erscheint uns heute fast unglaublich, worüber unsere Altvorderen am Beginn der Neuzeit in erbitterter und unversöhnlicher Weise stritten. Eine dieser großen Unstimmigkeiten war der Streit über die Erbsünde, der mit Vehemenz und großen Opfern geführt wurde. Der Streit um die Erbsünde ist nicht ganz einfach zu erklären und zu verstehen.
Im Prinzip gab es zwei gegensätzliche Auffassungen, die jedoch erst einmal mehrere Jahrhunderte vollkommen problemlos nebeneinander existierten:
- Die Kirchenväter des alten Oströmischen Reiches und des Morgenlandes billigten den Menschen – vermutlich auf Grund der langen philosophischen Tradition dieses Kulturkreises – eine Selbstverantwortung zu. Sie gingen davon aus, dass der Mensch die Sünde selbst erzeugt – und zwar jeder für sich und immer wieder aufs Neue. Der Sündenfall, nach biblischer Überlieferung von Adam und Eva begangen, wurde in diesem Kontext bewertet.
- Die Kirchenväter des Abendlandes lehrten im Einklang mit den Ideen des Augustinus (354 – 430 n. Chr.), dass die Sünde von Natur aus im Menschen stecke, selbstverständlich vererbt von Adam und Eva.
Im so genannten pelegianischen Streit setzte sich Augustinus erst einmal mit seiner Lehre durch, und insbesondere die sexuelle Lust des Menschen wurde als Fortpflanzungsmittel der Erbsünde gegeißelt. Allerdings übten die Kirchen, insbesondere die katholische, oft eine mildere Praxis. Der Reformator Dr. Martin Luther allerdings erneuerte die Ansichten und das Dogma des Augustinus. In den Jahren nach dem Tode Luthers kam es immer wieder zu extremen Ansichten für oder wider die Erbsünde – und damit verbunden zu heftigen Flügelkämpfen innerhalb der protestantischen Kirche.
Diese Kämpfe wurden insbesondere von Philipp Melanchthon und Matthias Flacius sowie Nikolaus von Amsdorf ausgetragen, gelegentlich auch mit wechselseitigen Sympathien zueinander. Flacius behauptete, die Erbsünde sei das Wesen des Menschen und seine Substanz, getrieben durch den Sündenfall Adams. Melanchthon hingegegen vertrat die These, dass der freie Wille des Menschen, das äußere Wort der Verkündigung und die innere Wirkung des Heiligen Geistes die Ursachen der Bekehrung seien. Dieser Streit wurde wohlgemerkt nicht im finsteren Mittelalter ausgetragen, sondern einige Jahrzehnte nach der Entdeckung beider amerikanischen Kontinente und einer beginnenden Emanzipation des Bürgertums.
Cyriacus Spangenberg, der famose Chronist der Grafschaft Mansfeld, stand fest auf Seiten des Matthias Flacius, den er im Jahre 1560 in Weimar kennengelernt hatte. Auch alle Prediger in der Grafschaft standen zuerst zu Flacius. Im Laufe der Zeit muss einigen der Prediger jedoch Zweifel an der dogmatischen Lehre Matthias Flacius gekommen sein. Spangenberg bekam immer mehr die Kritik seines Umfeldes zu spüren. Die Mansfelder Grafen griffen ein und mahnten ihre Prediger zur Einigkeit.
Bei einem Treffen der Theologen der Grafschaft Mansfeld wurde Spangenberg aber dennoch ein erstes Mal stark angegriffen. Cyriacus Spangenberg genoss allerdings als Hofprediger und Generaldekan auf dem Schlosse zu Mansfeld ein hohes Ansehen. Das erklärt auch, weshalb sich die Prediger der Grafschaft in zwei Lager spalteten. Das eine Lager, geführt vom Superintendenten Mencel, bekämpfte die Lehren des Flacius und damit auch die Person Spangenberg. Das andere Lager hielt zu ihm und ermöglichte ihm, seinen verbohrten Kampf weiterzuführen.
Durch seinen Mitstreiter Sarcerius aus Eisleben gelang es Spangenberg im Jahre 1573 an der St. Petri-Pauli-Kirche eine Predigt zu halten, in deren Verlauf er seine neuen Intimfeinde Mencel, Rhode, Fabricius und Praetorius offenbar heftig angriff. Die schlugen mit einer Schmähschrift zurück, in der sie klagten: „Dieses alles geschiehet uns von unserem bisher geliebten und hochgeehretem Bruder M. Spangenberg…“. Mit dieser Predigt wilderte Cyriacus Spangenberg eindeutig in fremden Revieren, denn für die Stadtkirchen von Eisleben war er als Hofprediger auf dem Schlosse zu Mansfeld eindeutig nicht zuständig ((Cyriacus Spangenberg hätte im Jahre 1559 Generalsuperintendent der gesamten Grafschaft Mansfeld werden können. Er lehnte aber dieses Amt ab und empfahl die Einsetzung von Hieronymus Mencel in dieses Amt.)), zumal Eisleben dem Kurfürsten von Sachsen als Oberlehnsherren unterstand.
Spangenberg trieb seine religiöse Verbohrtheit immer weiter. Er nutzte die sich damals rasant entwickelnde Drucktechnik zur Verbreitung seiner Schriften über die Erbsünde. Mit Billigung des Grafen Volrad von Mansfeld holte er den Buchdrucker Petri auf das Schloss Mansfeld, wo dieser fleißig Spangenbergs zahlreiche Werke druckte. Dennoch versuchte man sich auf beiden Seiten in Annäherung. Es gab zahlreiche Kolloquien, in denen die Mansfelder eindeutig und unbeweglich auf der Seite Flacius’, die Eisleber jedoch genau so fest auf der Seite Melanchtons standen. Zu allem Unglück tauchte auch noch – man könnte fast sagen wie vom Teufel geschickt – Matthias Flacius persönlich in Mansfeld auf.
Das persönliche Unheil für Cyriacus Spangenberg nahm nun unaufhaltsam seinen Lauf…
Durch das Auftauchen des Flacius wurde aus Debatten um die Erbsünde purer Hass zwischen den Anhängern der beiden Lehren ((Das auch heute noch in einigen Teilen Deutschlands gebräuchliche Wort FLÄZ – umgangssprachlich für einen plumpen, rohen Menschen oder Flegel – soll auf Matthias Flacius und seine heftig geführten Dispute – sich aufführen wie wie ein Fläz – zurückgehen.)). Bergleute – in jener Zeit berufsbedingt mit einem Hang zur tiefen Religiosität versehen – prügelten sich in den Schänken und auf offener Straße, nur wegen der vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer oder der anderen Gruppe. Die Grafen von Mansfeld – in religiösen Fragen seit der Reformation ohnehin nicht einig – gerieten ebenfalls in den Streit. Letztlich beschlossen die beiden Lehnsherren der Mansfelder Grafen, der Administrator von Magdeburg und der Kurfürst von Sachsen, mit Waffengewalt einzugreifen. Cyriacus Spangenberg wurde des Manichäismus bezichtigt. Das kam praktisch einer Beschuldigung des Ketzertums und damit einem Todesurteil gleich.
Silvester 1574 rückten bewaffnete Truppen im Auftrage des Administrators von Magdeburg in Mansfeld ein. Sie wüteten grausam unter den vermeintlichen Manichäern. Cyriacus Spangenberg wurde rechtzeitig gewarnt und konnte fliehen. Er hat nie wieder einen Fuß in die Grafschaft Mansfeld setzen dürfen. Seinen Mitstreitern ging es es schlechter. Es wurden 17 Ratsherren und 18 Bürger für fast einen Monat auf der Burg Giebichenstein zu Halle gefangen gesetzt. Die Prediger und Kantoren, die zu Spangenberg gehalten hatten, wurden aus der Grafschaft ausgewiesen – ohne Rücksicht auf Stand und erworbene Verdienste.
Doch wie konnte zu dieser Eskalation eines Streites zu einem an sich völlig unbedeutenden Thema kommen? Einerseits muss man konstatieren, dass mit dem Tode Luthers die prägende und autoritäre Persönlichkeit der Reformation fehlte. Andererseits lebten die Menschen im durch Kleinstaaterei geprägten Deutschland in einem räumlich und geistig engem Umfeld. Weltoffenheit und Toleranz konnten unter diesen Umständen kaum entstehen, geschweige denn ausgeprägt werden. Die mehrfach geteilte Grafschaft Mansfeld lässt diese unsäglichen Zustände besonders greifbar werden.
Es gab zwei Oberlehnsherren mit oft diametral entgegengesetzten Interessen. Dazu war die Grafschaft in mehrere Linien und Unterlinien geteilt. Seit der Reformation waren die Grafen in religiösen Fragen gespalten. Es gab immer wieder Grafen, die streng katholisch waren, während ihre Brüder und Vettern ebenso verbohrt der evangelischen Lehre anhingen. Selbst Konfessionsfragen konnten die Grafen nicht davon abschrecken, ihre Dienste der jeweils anderen Partei anzudingen. Irgendwie musste man ja trotz Überschuldung überleben.
Für die Grafen von Mansfeld war die religiöse Spaltung durchaus eine schwere Belastung. Während zum Beispiel Graf Hoyer IV. von Mansfeld-Vorderort als Träger des Ordens vom Goldenen Vlies und Berater des Kaiser streng am katholischen Glauben festhielt, wandte sich sein Vetter Albrecht VII. von Mansfeld-Hinterort konsequent der Lehre des Reformators Dr. Martin Luther zu. Albrecht von Mansfeld und Martin Luther waren etwa gleichaltrig und befreundet.
Graf Hoyer IV. litt übrigens sehr unter der Hinwendung einiger seiner nahen Verwandten zum lutherischen Glauben. Immerhin versuchte man sich innerhalb des Grafenhauses in Toleranz. Der Gottesdienst in der Eisleber Marktkirche St. Andreas wurde abwechselnd früh und mittags katholisch und lutherisch geführt. Als Hoyer IV. im Jahre 1540 kinderlos starb, gewann der lutherische Zweig des Grafenhauses die Oberhand.
Die Freundschaft des Grafen Albrecht zu Luther war unverbrüchlich. Beide sollen sich ein erstes Mal im Jahre 1516 während einer Visitation des Augustiner-Eremiten-Klosters neben der Kirche St. Annen in der Neustadt zu Eisleben getroffen haben. Luther schrieb in der Folgezeit gelegentlich sehr eindringliche Briefe an den Grafen: „Gottes Gnade wolle den Grafen für Menschenlehren gnädig behüten und auf göttlicher Lehre richtig und fest behalten.“ Albrecht vertrat trotz schwerer persönlicher Schicksalsschläge immer die Lehre Martin Luthers. Graf Albrecht VII. war einer der Gründer des Schmalkaldischen Bundes, der sich gegen die Religionspolitik Kaiser Karls V. richtete. Auf Anraten Martin Luthers ließ Graf Albrecht VII. eine evangelische Schule in Eisleben einrichten. Der erste Lehrer an dieser Schule wurde Johannes Agricola von Eisleben.
Graf Albrecht VIII. von Mansfeld-Hinterort war Zeit seines Lebens in die Kämpfe um Reformation und Gegenreformation involviert. Er gehörte 1531 zu den Gründern des Schmalkaldischen Bundes – eines defensiv ausgerichteten militärischen Zusammenschlusses von protestantischen Landesherren und Reichsstädten gegen den katholischen Kaiser Karl V. Die Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten verschärften sich in den folgenden Jahren und mündeten 1546 im Ausbruch einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen beiden Parteien, dem so genannten Schmalkadischen Krieg.
Dieser traf die Grafschaft Mansfeld direkt. Albrecht eilte direkt nach Ausbruch des Krieges nach Süddeutschland, wo den ganzen Sommer und Herbst über der an verschiedenen Orten der Donaufeldzug geführt wurde. Für die protestantische Seite war der Feldzug ein Fiasko: Das Herbstwetter, interne Streitigkeiten und Geldmangel beendeten die kriegerische Auseinandersetzung. Das protestantische Heer löste sich auf und der Kaiser kam fast kampflos in den Besitz Süddeutschlands.
Albrecht zog wieder Richtung Heimat: Er kam Ende Dezember 1546 nach Eisleben und besetzte danach die Festungen Mansfeld und Heldrungen. Die entscheidende Schlacht des Schmalkaldischen Krieges wurde bei Mühlberg in der Lochauer Heide geschlagen. Die protestantischen Truppen hatten gegen die Übermacht des Kaisers keine Chance und wurden vernichtend geschlagen. Einer ihrer Anführer, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen geriet in Gefangenschaft. Graf Albrecht schlug in der Folgezeit weitere Schlachten, unter anderem die von Drakenburg, aus der er als Sieger hervorging. Kaiser Karl V. erklärte daraufhin Albrecht für besitz- und heimatlos.
Im Jahre 1552 kam es zur staatsrechtlichen Anerkennung der evangelischen Kirche. Ers im darauf folgenden Jahr nach der Schlacht bei Sievershausen (bei Hannover) kehrte in Grafschaft Mansfeld wieder Ruhe ein. Die Bewohner der Grafschaft hatten bis dahin immer wieder unter den durchziehenden Heeren zu leiden. Viele Orte wurde geplündert und gebrandschatzt. Dabei spielte es keine Rolle, auf welcher Seite die jeweilige Linie des Grafenhauses als Besitzer stand.