Zuletzt geändert am 5. Januar 2013 von
Der Ablassbrief von Hettstedt
Im Jahre 1470 erwirkten zwei gottesfürchtige Frauen bei ihren – mit Sicherheit wohlhabenden – Ehemännern die Abfassung einer Botschaft an den Papst. Dort wurde ein Ablassbrief verfasst, der den Besuchern aller Gottesdienste und Feiern der drei Marienfeste annunciationis ((Verkündigung des Herrn, 25. März.)), assumptionis ((Mariä Aufnahme in den Himmel, 15. August.)) und conceptionis ((Unbefleckte Empfängnis, 8. Dezember.)) jede Buße für 100 Tage nach jedem Fest und das zu erwartende Fegefeuer erlassen würde – soweit sie zusätzlich finanziell zum Erhalt der Kirche beisteuern. Der Ablassbrief wurde von hochrangigen Kirchenvertretern unterschrieben, unter anderem vom Erzbischof von Ravenna.
Die Fehde mit den Grafen von Mansfeld
Trotz aller religiösen Eiferei blieb Hettstedt auch im Mittelalter nicht von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont – in einem besonderen Falle allerdings nicht ganz unverschuldet. In seinen Anfangszeiten gehörte Hettstedt den Grafen von Arnstein. Diese ließen Anfang des 13. Jahrhunderts an der Stelle des heutigen Brauhauses eine Wasserburg errichten. Nach dem Aussterben der Herren von Arnstein gegen Ende des 13. Jahrhunderts kam der Ort an die Grafen von Falkenstein. Im Jahre 1334 starben auch die Grafen von Falkenstein aus. Im Laufe der um die Besitztümer der Falkensteiner entbrannten kriegerischen Auseinandersetzungen wurde die Stadt 1341 durch das Heer des Bischofs von Halberstadt erobert und dauerhaft besetzt. 1351 musste der an den Kriegshandlungen beteiligte Graf von Regenstein Stadt und Burg vertraglich an den Halberstädter Bischof abtreten. Bereits 1394 verpfändete Ernst von Halberstadt die Stadt mit der Burg für 4400 Gulden an die Grafen von Mansfeld. Ab 1430 wurde seitens der Hettstedter mit dem Bau einer festen Stadtmauer begonnen, von der heute noch der MOLMECK, das SAIGERTOR und weitere Reste zu sehen sind (siehe Seite Hettstedt – Die Wipperstadt und ihre historische Stadtmauer).
Das Verhältnis der Grafen von Mansfeld zu den Bürgern Hettstedts muß jedoch ein sehr gespanntes gewesen sein, denn im Jahre 1436 borgte sich Bischof Burchard von Halberstadt bei den Hettstedtern 300 Schock Meißnische Groschen sowie das gesamte Pfandgeld in Höhe von nunmehr 4411 Gulden. Er verpfändete die Burg, die Gerichte und Mühlen innerhalb und ausserhalb der Stadt sowie Wiederstedt mit allen Lehen an die Hettstedter, die auch sofort die Wasserburg besetzten. Die Grafen von Mansfeld konnten das selbstverständlich nicht auf sich beruhen lassen, denn sie hatten erhebliche finanzielle Mittel in die Instandsetzung der Burg gesteckt. Sie beschwerten sich beim Kaiser, der den Erzbischof Günther von Magdeburg mit der Schlichtung des Streites betraute. Der befand, dass den Grafen das Schloss zurückzugeben sei. Die Hettstedter jedoch – im vollen Vertrauen auf die neu errichtete Stadtbefestigung – setzten darauf hin Stadt und Burg in den Verteidigungszustand.
Die Grafen beschwerten sich darauf hin bei ihrem Lehnsherren, dem Kurfürsten von Sachsen, der gemeinsam mit den Mansfeldern und dem Grafen von Schwarzburg ein Heer von etwa 8000 Mann zusammenstellte und am 21. Juli 1439 gegen die Stadt Hettstedt zog. Bereits am Mittag des folgenden Tages fiel die Stadt, auch wenn die Hettstedter Bürger – unterstützt durch Truppen des Bischofs von Halberstadt – ihre Stadt verbissen verteidigten. Nach Plünderung der Stadt und der damals übliche Geiselnahme etlicher angesehener Bürger belehnte Kurfürst Friedrich von Sachsen den Grafen Volrad von Mansfeld gegen eine Zahlung von 5000 Gulden mit Schloss und Stadt Hettstedt. Der Graf von Mansfeld trieb sofort eine beträchtliche Geldsumme bei der Bürgerschaft von Hettstedt ein.
1442 wurde durch einen Vertrag die alte Lehnsoberhoheit der Halberstädter Bischöfe wieder hergestellt. Hier machte jeder ein Geschäft, außer den Hettstedter Bürgern, die neben dem finanziellen Schaden auch die Schmach des Verlierers zu tragen hatten. In den folgenden Jahren verkam die Stadt zusehends, bis ihr im Jahre 1451 einige Privilegien durch die Mansfelder Grafen zugestanden wurden (siehe Seite Die Grafen von Mansfeld und ihre Herrschaft).
Das Karmeliterkloster auf dem Freimarkt
1453 gründeten die Grafen von Mansfeld zwischen der Altstadt und dem heutigen Freimarkt ein Karmeliterkloster. Im Jahre 1517 brannte das Kloster bei einem Stadtbrand aus, wurde aber schnell wieder aufgebaut. Im Bauernkrieg wurde es 1525 von den Bauern gestürmt, ausgiebig geplündert und seine Insassen verjagt. Der damalige Prior Johannes Glockmann meinte dazu lapidar, er und seine Mönche hätten eingesehen, dass das Klosterleben nicht von Gott gewollt sei.
Vom sudor anglicus, schrecklichem Unwetter und Kannibalen
Im Jahre 1529 starb in Hettstedt der Pfarrer Bartholomäus Koch am Englischen Schweiß – sudor anglicus oder pestis sudorosa -, einer seinerzeit sehr ansteckenden Infektionskrankheit, die meist tödlich verlief und bis heute nicht erforscht ist ((Bis heute ist wirklich kaum etwas über den Englischen Schweiss bekannt. Die Krankheit trat im 15. und 16. Jahrhundert plötzlich auf und verschwand auch schnell wieder. Man nimmt heute an, dass es sich um eine massenhaft verbreitete Grippe- oder Hantavireninfektion handelte.)).
1596 wurde die Stadt von einem schrecklichen Unwetter heimgesucht. Die Spitze des Kirchturmes wurde abgehoben und in seine Einzelteile zerlegt. Die Trümmer fielen auf die Kirche und auf einige der umstehenden Häuser. Ein großes Trum traf das Dach eines sehr nahe stehenden Hauses und durchschlug das Dach. Die sechs sich im Hause befindlichen Menschen kamen aber nicht zu Schaden. Auch der Türmer und seine Familie konnten sich gerade noch vor dem Abheben der Spitze retten. Der gesamte Hausrat aber war verloren.
Im Jahre 1638 oder 1639 wurde die Stadt Hettstedt von einer solchen Teuerung heimgesucht, dass etliche Bürger elend verhungerten. Daher kam es zu Fällen von Kannibalismus. So beabsichtigte ein Schmiedegeselle auf seiner Wanderung bei einem Fleischer namens Schicke zu übernachten. Der Fleischer und seine Frau hatten großen Hunger und töteten deshalb in der Nacht den schlafenden Schmied, zerteilten ihn und pökelten ihn ein, um das Fleisch haltbar zu machen. Die Familie des Fleischers soll das Fleisch des Schmiedes fast vollständig aufgegessen haben ((Nach anderen Quellen nächtigte ein Soldat bei einem Schmied in Hettstedt, wurde getötet, eingepökelt und vom Schmied und seiner Familie fast vollständig aufgegessen. Möglich ist aber auch, dass sich beide Geschichten zugetragen haben. Die Zeiten waren eben hart. Auch im 20. Jahrhundert gab es bezeugte Fälle von Kannibalismus, manchmal auch aus einer schrecklichen Notsituation heraus. So gab es 1948 einen spektakulären Fall in Chemnitz in Sachsen und 1969 einen weiteren in Glauchau in Sachsen. Siehe dazu Hans Girod: „Der Kannibale“, Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH, 1. Auflage 2000, ISBN 3-360-00928)). Der Mord wurde bekannt, weil der Fleischer den Kopf des Schmiedes in einem Korb vor die Tore der Stadt tragen wollte, um ihn heimlich zu vergraben. Dabei wurde er von städtischen Reitern erwischt, dingfest gemacht und in das Ratsgefängnis geworfen. Dort wurde das Ehepaar der peinlichen Tortur unterzogen, welche die beiden allerdings nicht überlebten. Der Fleischer Schicke und seine Ehefrau wurden daraufhin heimlich auf dem städtischen Friedhof begraben.
Sittlicher Verfall und Totschlag auf dem Kupferberg
Der Kupferberg – oberhalb des Luisenplatzes gelegen – war bis 1879 eine eigenständige Ortschaft neben Hettstedt (siehe Seite Hettstedt – Der Kupferberg mit der Kirche St. Gangolf und dem ehemaligen Hospital sowie Gut und Ortschaft). Mit der größeren Stadt Hettstedt gab es in den Jahren der Eigenständigkeit immer wieder Streitigkeiten, unter anderem wegen des Ausschankes von Bier und Wein auf dem Kupferberg. Der Rat von Hettstedt verbot 1490 sogar seinen Bürgen, auf dem Kupferberg Bier zu trinken oder nach Hettstedt zu holen. Der Bier- und Weinstreit zog sich über viele Jahre hin, wobei die Hettstedter Ratsherren durchaus berechtigte Sorgen um den Verfall der Sitten ihrer Bürger hatten.
Die Schenke auf dem Kupferberg, die so genannte Sorge, war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer wieder der Schauplatz von Mord und – sehr zum Leidwesen der Kirchenobrigkeit – auch von Prostitution und kräftigen Saufgelagen. Allein 1556 gab es im Gasthaus Sorge innerhalb kurzer Zeit vier Totschläge. Der Wirt beherbergte mehrere Prostituierte und einen Dieb. Auch soll einer der Gäste des Wirtshauses zwei Jahre nicht zu Hause aufgetaucht sein. Aber auch die Kirche hatte wenig Grund zur Kritik an den Zuständen auf dem Kupferberg: Der Pfarrer der Kirche St. Gangolf verlieh große Mengen Kirchengeldes gegen Zinsen. Noch 1570 wurde bei einer Kirchenvisitation befunden, dass der Pfarrer ein Trunkenbold sei und nach wie vor Geld verlieh.
Dem Pfarrer wurde übrigens von seinem Superintendenten nicht vorgeworfen, dass er Geld gegen Zinsen verliehen hatte, sondern nur dass die Kreditnehmer nicht genügend Sicherheiten vorweisen konnten. Auch 1581 gab es noch Klagen wegen Hurerei und etlichen zwielichtigen Personen auf dem Kupferberg. Die Lage der Schenke und der aufstrebende Bergbau haben wohl dafür gesorgt, dass sich auch zwielichtige Leute niederließen. Obendrein verweigerten die Bewohner des Kupferberges immer wieder die Anwesenheit bei Kirchenvisitationen, die wegen der Breite und Tiefe ihrer Nachforschungen auch bei allen – auch den Pastoren – gefürchtet waren.
1517 brannten auf dem Kupferberg innerhalb weniger Tage insgesamt 12 Wohnhäuser und einige Stallungen und Scheunen ab. Die Ursache war Brandstiftung. Drei Brandstifter wurden gefangen genommen und für ihre Tat mit dem Feuertod bestraft. Ursache der Brandstiftung soll Rache wegen eines Schrankes, den der Probst von Wiederstedt wegen nicht gezahlter Abgaben beschlagnahmen ließ, gewesen sein.